Von Maulschellen und raufenden Ratsherrn

Gepostet am 30. November 2015 | 1 Kommentar

November 2015

Am 30.10. habe ich von meinem Agenten endlich die heißersehnte Nachricht bekommen, dass ein großer Verlag ernsthaft an meinem Manuskript für „Die Fallstricke des Teufels“ interessiert ist, das ich vor einem Jahr beendet habe.

Eigentlich habe ich erwartet, bei dieser Nachricht ganz aus dem Häuschen zu geraten und eine langanhaltende Euphorie zu verspüren, aber stattdessen bin ich zwei Tage körperlich wie erschlagen und habe zu gar nichts Lust. Dann nehme ich mir das angefangene Manuskript eines historischen Krimis vor, grübele über Täter und Motiv. Ich beschließe auch einen örtlichen Tapetenwechsel und fahre nach Pirna, um im Stadtarchiv weiter zu recherchieren.

Inzwischen kann ich die alte Kanzleischrift der Pirnschen Stadtschreiber schon etwas besser entziffern, als bei meinen ersten Recherchen vor vier Jahren. Mühsam bleibt es dennoch. Deshalb bin ich unheimlich froh, dass sich die Archivarinnen, besonders Fr. Geyer und Fr. Pätzold, immer wieder Zeit nehmen, einen Blick auf ein paar Zeilen zu werfen und meine Fragen zu beantworten.

Ich beschäftige mich z.Z. besonders mit den Einträgen zu den Gerichtsbußen. Sie sind zahlreich und außerordentlich unterhaltsam, denn im 16. Jahrhundert schlugen die Pirnaer Bürger gern mal über die Stränge. Davon hatte ich bereits gehört, aber hier lese ich es nun mit eigenen Augen! Kämmereirechnung 1548/49:

  • „dere Maler, daß er Matz Frinsler ein Maulschellen gegeben…“
  • „Wenzel Süßmilch, daß er mit Steinen in Urbans Haus geworfen…“
  • „Hans Hengst, daß er mit Peter Sch… gerauft…“
  • „Balthasar der Ziner, daß er Gotschalgk und Hanel geschlagen und gestochen…“
  • „Herr Balthasar Kittel, das er Jeronny Jentzsch mit eyn leuchter geworfen…“

Ich hole Fr. Geyer, um mich zu vergewissern, dass ich das richtig entziffert habe. Sie bestätigt es, und ich kann es trotzdem kaum glauben: Herr Balthasar Kittel war zu dieser Zeit (und viele Jahre davor und danach) Ratsherr!

Ich erinnere mich an einen Artikel aus dem Pirnaer Anzeiger – „Das sittliche Leben in Pirna in der 2.Hälfte des 16.Jahrhunderts“ . Oskar Speck, der sich schon hundertzwanzig Jahre vor mir  durch die alten Akten im Stadtarchiv gewühlt hatte, schrieb darin von festen Preisen für Maulschellen. Aber über den leuchterwerfenden Ratsherrn Baltahsar Kittel hat er nichts berichtet…

Die Pirnaer Kämmereirechnungen aus den Jahren 1533 – 1540 (C II – I 8)

Ich beschließe, diese Entdeckung noch nachträglich in mein Manuskript für „Die Fallstricke des Teufels“ einzuarbeiten, denn sie ist einfach zu köstlich.

Meine Begeisterung an den Gerichtsbußen wächst mit jedem Tag. Und – als ob ein Ratsherr, der im Streit mit Leuchtern um sich wirft, noch nicht genug wäre – gibt es auch noch zwei Einträge zu Gerichtsbußen wegen außerehelichen Beischlafs. Sowohl der Mann als auch die Frau, die daran beteiligt waren, müssen Strafe zahlen.

Darüber vergesse ich fast, dass ich mich urspünglich in den Kämmereirechnungen mit dem Kapitel „Von dem Bergwerke“ beschäftigen wollte, weil das für meinen Krimi relevant erscheint. Auch da stoße ich auf bemerkenswerte Fakten, die mich Monate später nach Tschechien führen werden.

 

Link zu: https://www.buecherskorpion.eu//projekte/historischer-krimi/

1 Kommentar

  1. Frau Spring aus Berlin macht mich auf Sie aufmerksam. Unsere Vorfahren KITTEL stammen aus Pirna und an deren Stammbaum arbeite ich seit Jahren.

    Habe keine Ahnung, ob sie überhaupt genealogisch an dieser Familie interessiert sind? Jedenfalls gibt es eine Reihe von Baltasars, den frühesten habe ich gerade zufällig im Urkundenbuch Dresden und Pirna (1875) gefunden. Dieser war bereits am 10.10.1453 Im Rath (S.432).
    Ob das nun der Vater meines zweiten Baltasars war ist offen.
    Dieser Zweite Imm. Leipzig 1493, 1495 in Köln, dann 1499/1500 Leipzig mag. artium, 1506/7 Frankfurt: Jahresrektorat.
    Der dritte Baltasar („KYTTL“) gestorben und begraben 6.2.1630 in Schöne bei Schandau war Schneider (merkwürdig, das die meisten KITTELS damals schon studierten) lebte 1588-1604 in Aussig/Böhmen, seine Eltern lebten in Pirna und Liebstadt, also vermutlich Sohn des Christoph („Borna“ / Pirna 1523-1593 Liebstadt), 1545 Konrektor Pirna, , 1549 Archidiakon ebenda, 1551-1580 Liebstadt, dann 1580 magister Wittenberg, danach Pfarrer Liebstadt und Welbsleben, verheiratet mit Veronika JUST.

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